Die Lausitzer Seenkette

Sonnenuntergang am Senftenberger SeeWo einst harte Arbeit und dicke Luft an der Tagesordnung standen, sind jetzt Erholung und Spaß angesagt. Im großflächigen Niederlausitzer Braunkohlerevier an der Grenze zwischen Sachsen und Brandenburg befindet sich eine Landschaft im Wandel. Bereits vor 10 Jahren hat die IBA (Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land) mit diesem gewaltigen Projekt begonnen. Nach und nach werden ehemalige Braunkohle-Tagebaue geflutet und insgesamt 23 neue Badeseen sollen hier entstehen neben allerhand architektonischen Wunderwerken und weiteren Touristenattraktionen – eine riesige Erholungsoase nur eine gute halbe Autostunde von Dresden entfernt. Es wird jedoch noch etliche Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – dauern, bis Europas größte künstliche Wasserlandschaft vollendet ist (Karte), bis von den alten Industriemulden nichts mehr zu sehen ist, bis viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten hier ein neues Rückzugsgebiet finden und die Ufer der Seen schön mit Schilf bewachsen sind. Hier wird es sicher mal richtig nett werden und z.T. ist es das jetzt schon!

Allzuviel hätten wir von diesen ganzen Verwandlungen nicht mitbekommen, müssten wir uns nicht projektbedingt mit der Region auseinandersetzen. Schon vor unserer letzten USA-Tour haben wir etliche Ausflüge in die Gegend unternommen und auch in den kommenden Wochen werden wir recht oft hier anzutreffen sein. Diesen Samstag stand das 4. Internationale Jetski-Rennen am Südufer des Geierswalder Sees am Programm. Weniger interessant das normale Rennen, aber genial, was einige dann beim Freestyle-Wettbewerb so drauf hatten! Vor allem die Nr. 48 stach hervor. Immer wieder doppelte Saltos oder gar dreifache und das ganz ohne dass der Sportler je den Halt verlor oder von seiner Maschine rutschte. Die Fotos, die dabei entstanden sind, fallen zum Teil sicher mehr in die Kategorie “skurril”. Nicht selten schoss er uns aus dem Bildausschnitt heraus und irgendwie erinnerte mich die Show an unseren kleinen, temperamentvollen Papageientaucher aus Newport. So oft sah man auch hier nichts außer Wasserspritzer und “irgendetwas Abgetauchtes”! :)

Jaroslav Tirner beim 4. Internationalen Jetski Rennen am Geierswalder See

So mancher Versuch beim Jetski Freestyle sah richtig lustig aus... :-)

Oftmals schafften sie aber gleich drei Saltos hintereinander, absolut genial!

Der Geierswalder See am Platz des einstigen Tagebau “Koschen” ist seit 2006 zum Surfen und Baden freigegeben. Das saure und am Ufer teils recht rötliche Wasser sagt uns persönlich noch nicht so zu, es wird aber laufend verbessert und es ist zu hoffen, dass der pH-Wert noch deutlich steigt (liegt derzeit bei ca. 4). Dann könnte hier mal ein ausgesprochen schöner Badesee entstehen, ähnlich wie der Senftenberger See, der schon in den 1960er Jahren geflutet wurde und der mittlerweile fast Trinkwasserqualität aufweist.
Auch abseits des Wettbewerbs gibt es am Geierswalder See allerhand zum Fotografieren. Das erste schwimmende Haus im futuristischen Wohnhafen “Scado” wurde letzten Sommer eingeweiht und schon bald am 22. Juli 2010 geht hier ein weiteres vor Anker. Die zweite “ar-che” aus Stahl und Glas sah bereits ziemlich fertig aus und stand dieses Wochenende am Strand nebenan. Später sollen sich noch weitere Häuser auf dem Wasser dazugesellen (Graphik). Auch auf dem benachbarten Partwitzer See sowie am Gräbendorfer See schwimmt jeweils ein kleines Häuschen, wobei die beiden aber lange nicht so schön modern aussehen wie diese hier. Die “ar-che” kann man derzeit als Ferienhaus mieten und als Zweitwohnsitz fänd ich sie eigentlich auch nicht so schlecht … ;)

Am Samstagabend gab es noch eine weitere Freestyle-Show unter Flutlicht und ein großes Seefeuerwerk. Sicher nicht schlecht und vielleicht schauen wir uns das nächstes Jahr an! Wir hatten an dem Tag aber leider nicht mehr soviel Zeit, es galt noch die schwimmenden Häuser und die Biotürme bei Lauchhammer im Abendlicht zu verewigen. Letztere hatten leider schon geschlossen. Aber wenn man improvisiert, dann geht es auch so. Ein paar unscharfe Kamillenblüten im Vordergrund und schon sieht man den Zaun dahinter nicht mehr… :)
Vielen herzlichen Dank an dieser Stelle noch an den unbekannten Helfer, der uns mit seinem Auto durch ganz Lauchhammer gelotst hat! Wir hatten nur nach dem Weg gefragt und waren dann mehr als baff, soviel Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft ist unglaublich schön! :)

Zu Fuß ging es auf der Reise zum Mars in eine unwirkliche Canyonlandschaft am Grund des zukünftigen Ilse Sees.Unser Programm für den Sonntag hatte den recht klangvollen Namen “Reise zum Mars” mit anschließender “Jeep Safari“. Diese 4-stündige Tour wird von der IBA angeboten und ist trotz des Preises (49 Euro p.P.) meist gut gebucht. Wir genossen zum Glück “Pressevorzüge” und durften sehr kurzfristig und kostenlos mitmachen. Bei “fast authentischer Hitze” ging es zu Fuß zu den marsähnlichen Überresten des einstigen Tagebaus Meuro, einer Grube gewaltigen Ausmaßes: rund 6 km lang, 3 km breit und bis zu 70 m tief. Unserem Führer merkte man deutlich die Begeisterung an und wie viel Spaß es ihm machte, die Besucher zum Grund des zukünftigen Ilse-See zu begleiten (geplantes Ende der Flutungen: 2015). Auch wusste er auf jede Frage eine Antwort und zu unserer freudigen Überraschung erfuhren wird, dass wir letztes Wochenende nicht nur irgendeinen unbedeutsamen, verrosteten Bagger im Wald hinter der Eurospeedway entdeckt hatten, sondern dass dies der Schaufelradbagger SRs 1500 war, das sog. “Blaue Wunder”, das mit an erster Front stand, als im Jahr 1965 die allererste Braunkohle in “Meuro” zu Tage gefördert wurde.

Nach einem ausgiebigen Picknick inmitten der unwirklichen Landschaft ging es auf eine Jeep-Safari, die zunächst ganz gemütlich begann, es dann aber noch ganz schön in sich hatte. Erinnerungen an die verrückten Offroadler in Moab wurden wach, nur dass man hier auf weichen Böden unterwegs war und nicht auf slickrock. Vor allem bei der Winterabfahrt gerieten die Jeeps in eine gewaltige Schieflage. Auch diese Tour war insgesamt gut gemacht und recht informativ. Nur das Seeadlerpärchen, das sich hier angesiedelt hat, haben wir leider nicht gesehen, ebenso wenig wie die “Löwen” und “Nashörner”, die angeblich auf der anderen Seite des Ilse See “beheimatet” sind… ;)

Steffen hatte einen Spezialsitzplatz während der Iba Jeep Safari im ehemaligen Tagebau Meuro.Richtig cool war der Sitzplatz, den Steffen beim Fotografieren einnehmen durfte (siehe Bild). Da habe ich ihm gern den Vortritt gelassen und genoss währenddessen eine leicht zu öffnende Hintertür und die Erlaubnis hin und wieder “ich bin dann kurz mal wech” zu sagen. :) Insgesamt seien wir aber sehr brav gewesen, sprich wir hätten wahrscheinlich sogar noch viel öfter aussteigen dürfen. Was allerdings nicht sehr fair gewesen wäre, denn einige der Herren wurden gegen Ende schon etwas unruhig -> die Fußball-WMB-)

Da es weit und breit kein Public Viewing gab, genossen wir auf den IBA Terrassen noch ein kühles Bier, den Blick auf den zukünftigen Ilse-See und das schöne Wetter. In der Ferne ertönten die ersten Böller. Deutschland hatte wohl ein Tor geschossen!? Anschließend ging es noch zum Aussichtspunkt Welzow Süd und dann hörten wir auch schon das Spielergebnis im Autoradio. Da Steffen die Torbilanz lustigerweise richtig vorhergesagt hatte (4:1 gegen England), war auch er glücklich und zufrieden! :)
Der Tagebau Welzow Süd soll noch bis Mitte dieses Jahrhunderts durch die “Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH” (LMBV) geflutet werden und sich in das größte Gewässer des Lausitzer Seenland verwandeln. Bis dahin wird dort aber noch fleißig Kohle abgebaut und so manche nahe Ortschaft von der Landkarte weichen müssen. Kartographen der Seenplatte dürften ohnehin auch so verzweifeln oder zumindest graue Haare bekommen: Nicht nur die Uferbereiche schwanken kontinuierlich, auch Radwege, Kanäle und Sperrgebiet ändern sich ständig. Selbst Google Earth hinkt in dieser Region immer hoffnungslos hinterher…

Die gewaltige Metamorphose ist – wie nicht anders zu erwarten – durchaus umstritten. Es ist mitunter die Rede, dass der Spreewald nicht nur durch den Klimawandel vom Austrocknen gefährdet sei. Profitierte er noch bis in die 1990er Jahre vom abgepumpten Grundwasser aus der Trockenlegung der Braunkohlengruben, so passiert derzeit genau das Gegenteil: Es wird Wasser aus der Spree für die Flutung der einstigen Tagebaulöcher abgepumpt. Und ob nach der Schaffung der Seenplatte je wieder soviel Wasser in den Spreewald gelangt wie vor dem Beginn des Kohleabbaus, bleibt leider ebenfalls fraglich.
Bis sich alles einigermaßen einpendelt, wird jedenfalls noch viel Wasser die Schwarze Elster, Neiße und Spree hinunterfließen müssen und wir sind gespannt, wie sich dieser Landstrich in den kommenden Jahren entwickeln wird. Das Lausitzer Seenland ist derzeit eines der größten Naturschutz- und Umweltprojekte in Deutschland, ein sehr teures, aber einmaliges Experiment der Natur, bei dem wichtige Rückzugsräume für selten gewordene Tier- und Pflanzenarten geschaffen werden sowie neue Durchzugs- und Überwinterungsgebiete für viele Vogelarten (Link, Link). Der fröhliche Gesang der Lerchen hat uns dieses Wochenende auf unserer “Reise zum Mars” begleitet und auch das Heulen der Wölfe ertönt bereits aus den Wälder der Lausitz (Karte). Es ist zu hoffen, dass sich weiterhin alles positiv und wie geplant entwickelt! Wir haben jedenfalls diese Gegend mittlerweile ein wenig in unser Herz geschlossen! :)

DuMont Bildatlas - Spreewald & Lausitz Diese Bilder entstanden im Zuge der Auftragsfotografie für den Bildatlas Spreewald/Lausitz vom DuMont Reiseverlag: DuMont Bildatlas Nr. 18 “Spreewald / Lausitz”, €8,50
Text: Oliver Gerhard & Susanne Sigmund
Bilder: Synnatschke Photography
1. Auflage 2011; 118 Seiten, 163 Bilder, 5 gr. Karten
ISBN-13: 978-3770192762
Weitere Infos zu dem Reiseführer gibt es -> hier