Zu Besuch im Tagebau Welzow-Süd
Im Tagebau Welzow-Süd steht die größte bewegliche Arbeitsmaschine der Welt, eine Abraumförderbrücke vom Typ F60, die eine bis zu 60 m hohe Erdschicht am Stück abtragen kann. Sie wird oftmals mit einem “liegenden Eiffelturm” verglichen, auch wenn dieser deutlich kürzer ist. Mit ihren 502 m Länge, einer Höhe von 80 m und einem Gewicht von 11.000 Tonnen ist sie ein wahrer Gigant der Technik, der nicht nur die Besucher von “Friendship Force” aus Fernost beeindruckte, sondern auch uns zum Weitwinkel greifen ließ.
Das Abenteuer begann aber schon lange vor der Tour, die pünktlich um 15 Uhr starten sollte. Fast wie im Flug vergingen die Stunden bei der schönen Rakotzbrücke in Kromlau sowie im Schlosspark von Bad Muskau, so dass wir dann regelrecht nach Welzow-Süd “weiterfliegen” mussten. Das Navi wollte uns zunächst tatsächlich 15:09 Uhr als Ankunftszeit anbieten, ein Alptraum zumal es sich um den einzigen wirklich wichtigen Termin des Tages handelte! Nach einigen Kilometern zeigte es bereits 15:06 an, dann kamen eine Umleitung und etliche Sonntagsfahrer und schon waren alle Bemühungen wieder dahin. Nun hieß es zu unserem Entsetzen “15:10”.
Nach einigen Kilometern “Eurospeedway” trafen wir schließlich doch noch fast pünktlich ein. Aber wo eigentlich? Als Treffpunkt hatten wir nur eine Koordinate. Vor Ort weiter nichts als ein Wirrwarr an Parkplätzen und niemanden den man fragen könnte. Wir irrten völlig ratlos umher, genauere Infos sowie die HandyNr. unseres Tourguides von Vattenfall hatte ich sinnigerweise zu Hause liegen lassen…
Als Thomas und ich in der Ferne dann ein größeres, gelbes Fahrzeug erblickten, rannten wir blindlings (oder ev. schon aus purer Verzweiflung? ) darauf zu. Eine Insassin sah Kameras um unseren Hals baumeln und alarmierte sofort den Fahrer. Es war tatsächlich unser Bus, der da nach Welzow-Süd hineinfahren wollte und gerade noch in letzter Sekunde anhalten konnte! Und so kam es, dass wir um Viertel 4 mit unendlich viel Glück doch noch unsere Sitzplätze einnehmen durften. Die anderen Teilnehmer schienen uns die Verzögerung auch nicht übel zu nehmen und freuten sich mit uns. Mir fiel ein (großer) Stein vom Herzen!
Zunächst ging es zu einem Aussichtspunkt im Südosten des Tagebaus, den ich bereits kannte. Hier bekommt man einen ersten schönen Eindruck von den Ausmaßen des Tagebaus und dazu passend steht an der Abbruchkante eine wahrlich überdimensionale Aussichtsbank, für die mancher Besucher schon “Kletterhilfe” benötigte. Hier erfuhren wir auch allerhand Interessantes rund um den Kohleabbau und dass gut ein Viertel des heutzutage in Deutschland verbrauchten Stroms aus der Braunkohle stammt! Welzow-Süd ist das größte der fünf Vattenfall Tagebaugebiete und die Braunkohle von hier dient hauptsächlich der Versorgung des Kraftwerkes Schwarze Pumpe bei Spremberg. Seit 1966 wird in Welzow Kohle zu Tage gefördert, derzeit eine ganze Tonne pro Sekunde!
Aber das so richtig in Ruhe Zuhören, das gelang nicht ganz. Immer wieder hatten wir “Funktion”, denn mindestens so oft wie ich versucht habe die anderen Tourteilnehmer in meine Motive einzubauen, wurden auch wir selber verewigt. Als “Leute von der Presse” waren wir für die Besucher aus Fernost wohl eine Art “Zusatzattraktion” am Rande des Tagebaus. Und so kam es dass wir andauernd zu zweit oder mit dem einen oder anderen Japaner gemeinsam vor den immerzu klickenden Kameras posieren mussten. Irgendwie niedlich und es war echt zum Zerkugeln!!!
Im Anschluss ging es dann in die gigantische Grube direkt zum aktiven Tagebau hinunter, wo man sich umgeben von schwarzen Flözen und riesigen Maschinen wie ein Zwerg vorkam. Und bessere Models zum Vergleich als die ohnehin etwas kleinwüchsigeren Japaner, konnte man sich kaum wünschen!
Die einen halben Kilometer lange Förderbrücke F60 ließ sich nur aus entsprechender Entfernung mit dem Weitwinkel einfangen, aber dafür wurde in unserer unmittelbaren Nähe ein Schaufelradbagger in Betrieb genommen. Die erscheinen zwar nahezu winzig im Vergleich mit der F60, aber so ein sich drehendes Rad hat trotzdem was…
Den letzten Stopp legten wir bei den ausgedehnten Rekultivierungsflächen ein. Der Braunkohleabbau hinterlässt eine gewaltige Spur der Verwüstung und Bergbaufirmen sind per Gesetz verpflichtet sich um die entstandene Mondlandschaft zu kümmern und Maßnahmen zu ergreifen, so dass die Natur nach Abschluss der Fördertätigkeiten langsam wieder Fuß fassen kann. Erste Fortschritte sind schon deutlich erkennbar: An den Tagebaukippen im Nordosten von Welzow-Süd hat die Vattenfall Europe Mining AG jede Menge Bäume angepflanzt, so dass Rehe und Rotwild wieder heimisch wurden, und seit 2004 gedeihen an den nach Süden gewandten Hängen zahllose Rebstöcke. Es ist ein kleines Experiment, das hier stattfindet und vielleicht sogar Erfolg verspricht – wenn sich die Experten vom Institut für Klimafolgenforschung, die eine Nordverschiebung der Weinbauregionen Deutschlands prognostizieren, nicht gänzlich irren.
Recht amüsant war dann auch die Rückfahrt. Nicht nur dass es einen aufgrund des rauen Geländes wieder gleich mehrfach fast einen halben Meter aus dem Sitz gehoben hat, sorgte für Erheiterung sondern auch die Mitbringsel von der Tour. Die Japaner strahlten um die Wette in Anbetracht der Kohlestückchen, die sie ganz offiziell aus Welzow-Süd mitnehmen durften. Es ist schön, welch Freude so manche Kleinigkeit auslösen kann! Wir selbst hatten zwar keine Souvenirs in den Taschen, aber dafür wieder jede Menge Gelegenheiten zum herzlich Schmunzeln…
Seit der Cola und dem Rosinenbrötchen zum Frühstück war bereits viel Zeit vergangen, unser Magen knurrte und zwar gewaltig! Dank eines sehr guten Tipps saßen wir schon bald im Gutshof von Neupetershain. Das Essen schmeckte erstaunlich gut und wir ließen ein wenig die Seele baumeln. Viel Zeit hatten wir aber nicht, denn die Sonne neigte sich schon dem Horizont zu. Nach einem kurzen Abstecher nach Neu Geisendorf fuhren wir zu einem öffentlich zugänglichen Aussichtspunkt im Nordwesten von Welzow-Süd nahe der Ortschaft Steinitz.
Unten in der Grube werkelte ein Bagger mit einem grün beleuchteten Schaufelrad. Bei 300 mm war dieser zwar bildfüllend, aber trotzdem schade, dass der schöne Schaufelradbagger, der noch vor zwei Wochen unweit des Aussichtspunktes in Augenhöhe stand, nicht mehr da war. Der hätte sich doch noch um einiges besser vor der Linse gemacht! Es war aber trotzdem ein netter Ausflug und ein lustiger Tag!
Zwangsumsiedlungen: Selbst bei einem flüchtigen Besuch sind sie leider nicht zu übersehen, die Auswirkungen für die Menschen, die sich einst in der Nähe von Welzow niedergelassen hatten. Die Fläche des Tagebaus dehnt sich aus und wandert langsam im Uhrzeigersinn weiter. Zwangsumsiedlungen und die Vernichtung ganzer Dörfer sind die Folge (Liste). Prominentes Beispiel ist Haidemühl, das noch 2001 662 Menschen ihre Heimat nennen duften und heute der Braunkohle zum Opfer gefallen ist. In Neu Geisendorf steht der Besucher mittlerweile nur knapp hinter einem Haus vor der Abbruchkante, an der noch vor kurzem der Bagger “genagt” hatte und vom Aussichtspunkt bei Steinitz im Nordosten von Welzow-Süd erkennt man in der Ferne ein Haus, das ebenfalls beängstigend nahe am Abgrund steht. Auch die Zukunft von Teilen des 4100-Seelen-Ortes Welzow ist noch ungewiss aufgrund des geplanten, noch nicht genehmigten “Teilabschnitts II”.
In der Umgebung: Im Lausitzer Braunkohlerevier sind noch weitere drei Exemplare einer F60 in Betrieb: in Nochten, Jänschwalde und Reichwalde. Eine vierte am Ufer der zukünftigen Bergheider Sees in Lichtenfeld wurde stillgelegt und als Touristenattraktion zum Besucherbergwerk F60 umfunktioniert, worüber wir aber zu einem späteren Zeitpunkt noch Näheres berichten werden…
Text: Oliver Gerhard & Susanne Sigmund
Bilder: Synnatschke Photography
1. Auflage 2011; 118 Seiten, 163 Bilder, 5 gr. Karten
ISBN-13: 978-3770192762
Weitere Infos zu dem Reiseführer gibt es -> hier
Hi Isa,
wenn ich so Tagebau-Fotos sehe, muss ich irgendwie immer an “Gundi” Gundermann, den singenden Baggerfahrer, denken :-) Vielleicht hast du während deiner Touren ja auch von ihm schon gehört?!
Die blaue Stunde sieht selbst in so einem hässlichen Tagebau gut aus
Susan
Die Chaos-Anreise hätte auch von mir sein können!
Der Rest des Ausflugs klingt aber nachahmenswert!
Susan, wer ist denn das? Dachte zuerst spontan an Entenhausen, da lag ich wohl bissi arg daneben…
LG,
Isa
PS: Finde Bautzen übrigens noch um einiges schöner als Görlitz. Bin zwar unendlich KO heute (Museen, Gedenkstätten, etc.), aber es war so richdsch sommerlich und man konnte abends schön im Mönchshof draußen sitzen, echt urig dort! Erinnert etwas an den Sophienkeller. Und das Bier schmeckt schon fast zu gut……